Die Stoßtherapie – und was Sie darüber wissen sollten  

von Kirsten 

Keine Angst! Das Folgende ist keiner Weise dafür gedacht, über die Wirksamkeit der Stoßtherapie (auch als Pulstherapie bezeichnet) zu philosophieren. Es ist vielmehr dafür gedacht, Ihnen manche Ängste zu nehmen! Denn es gibt einige Aspekte, die vor allem den frisch diagnostizierten MS-Erkrankten nicht unbedingt bewusst sind. Auf diese möchte ich Sie nun hinweisen. Vor allem deshalb, weil ich immer wieder mitbekomme, dass einige Effekte der Stoßtherapie von MS-Erkrankten zunächst der Erkrankung selbst zugeschrieben werden und daher für umso mehr Angst vor der Krankheit sorgen. 

© Foto: MasterTux auf Pixabay.com

Cortison

Wenn Sie die Diagnose MS erhalten, dann befinden Sie sich vermutlich in einem akuten Schub – also in einem akuten Entzündungsgeschehen. Ihnen werden an 3-5 Tagen jeweils eine Dosis von 1 g des entzündungshemmenden Wirkstoffs (Methyl-)Prednisolon per Infusion verabreicht – oder Sie erhalten stattdessen Tabletten mit einem dieser oder ähnlicher Wirkstoffe. 

Die häufig eingesetzten Wirkstoffe Prednisolon bzw. Methyl-Prednisolon sind dem Steroidhormon “Cortisol” nachempfunden, das Ihnen als Stresshormon bekannt sein dürfte [1],[2]. Dieses gilt allgemein als entzündungshemmend und wird daher bei verschiedenen entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Einige Effekte werden sich recht schnell bei Ihnen bemerkbar machen, wie z.B. die Schlaflosigkeit, ein erhöhter Appetit sowie ein erhöhter Blutdruck. Manche Symptome reduzieren sich relativ schnell nach der Stoßtherapie wieder.  

Abbau der Muskel- und Knochenmasse als mögliche Nebenwirkung

Was vielen Erkrankten nicht unbedingt bewusst ist – und was ich besonders erwähnenswert finde – ist Folgendes: Egal, ob es sich um Cortisol selbst oder die synthetischen Cortisol-Derivate wie Prednisolon bzw. Methylprednisolon handelt – gerade in so ultrahohen Dosierungen (wie sie bei der MS-Stoßtherapie verabreicht werden) ist es sehr katabol [3]. Das heißt, es baut stark Muskel- und Knochenmasse ab! Um dem Knochenabbau entgegenzuwirken, wird Ihnen deshalb während der Stoßtherapie z.B. täglich eine Tablette verabreicht, die Calcium und Vitamin D beinhaltet. Gerade für Ihre Zähne wäre es daher gut, wenn Sie diese für einige Zeit mit Zahnaufbau-Präparaten zusätzlich unterstützen. Und sich auch nach der Stoßtherapie einige Zeit weiter mit z.B. calciumreichen Mineralwasser und Vitamin-D-Präparaten versorgen.  

Was den Muskelabbau betrifft, so macht sich dieser recht schnell nach der Stoßtherapie bemerkbar. Denn man kann sich anfangs nur wenig bewegen. Bereits kleine Strecken kosten sehr viel Kraft und bescheren einem danach einen riesigen Muskelkater.  

Dies ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Sie pro Tag eine mehrere 1.000-fache Dosis an Cortisol bekommen haben, als die, die natürlicherweise in Ihrem Körper zirkuliert [4].  

Sie werden nach der Stoßtherapie wieder Muskulatur aufbauen. Zum einen, weil Sie kein kataboles Cortisol-Derivat mehr verabreicht bekommen. Zum anderen, weil Sie sich ein wenig und hoffentlich zunehmend mehr bewegen werden und der Körper daher wieder einiges aufbauen wird. Wie gerade beschrieben, spüren Sie gerade anfangs relativ häufig Muskelkater, nachdem Sie sich bewegt haben. Aber Sie sollten sich auch im Klaren darüber sein, dass dieser rasante Muskelabbau nicht in wenigen Tagen wieder ausgebügelt werden kann. Es braucht in etwa 3 Monate oder länger, um in etwa den Fitnesszustand von vor der Stoßtherapie wieder hergestellt zu haben – sofern Ihnen Bewegung möglich ist und Sie sich regelmäßig etwas bewegen.  

Bitte bedenken Sie dabei, dass eben dieser Muskelaufbau auch Kraft und Energie kostet. Und Sie auch aus diesem Grund eine vermeintliche Fatigue-Symptomatik verspüren werden, die eben nicht allein der Krankheit zuzuschreiben ist! Gerade für die Muskulatur erscheint die Einnahme von Magnesium-Präparaten bzw. magnesiumreichen Mineralwasser sinnvoll, um einem übermäßig erhöhten Muskeltonus zumindest etwas entgegenzuwirken. Magnesium ist auch einer der wichtigsten Kofaktoren für Vitamin D, sodass die Einnahme in jedem Fall sinnvoll erscheint. 

Weitere mögliche Folgen der Hormonumstellung

Des weiteren haben vor allem diese großen Mengen an Stresshormon noch einige Zeit Einfluss auf die Verdauung. Diese Verdauungsbeschwerden könnten fälschlicherweise als Krankheitsbeschwerden verstanden werden, da bei MS die Darm-Funktion beeinträchtigt sein kann. Möglicherweise wird eine bestehende Krankheitssymptomatik verschlimmert und erscheint daher zermürbender, weil man sich des verstärkenden Effekts des Cortisols nicht bewusst ist.  

Wie bereits erwähnt, ist Cortisol selbst ein natürliches Hormon im menschlichen Körper. Zwischen verschiedenen Hormonen besteht ein gewisses Gleichgewicht, denn verschiedene Enzyme ermöglichen die Umwandlung eines Hormons in ein anderes. Wenn dem Körper nun eine große Menge einer Hormonsorte zugeführt wird, gerät das hormonelle Gleichgewicht gehörig ins Wanken. Das bedeutet, dass es in den folgenden Wochen bei Frauen z.B. zu starken und heftigen Blutungen kommen kann – oder die Menstruation stattdessen einige Zeit komplett ausbleibt. Bei Männern kann es darüber hinaus zu Potenzstörungen kommen, die wiederum eine depressive Stimmungslage hervorrufen können [5]. Auch bei diesen Störungen kann also zunächst keine klare Abgrenzung zu krankheitsspezifischen Symptomen getroffen werden, da sowohl sexuelle Funktionsstörungen als auch Depressionen auch als Krankheitssymptome der MS bekannt sind.  

Zudem ist vermutlich auch die Regulierung Ihrer Körpertemperatur in den kommenden Wochen etwas verändert. Denn Sie werden – ausgelöst durch das “Stresshormon” Cortisol – viel innere Hitze verspüren. Und diese kann wiederum zu einer Verstärkung des Uhthoff-Phänomens führen – also z.B. zu einem verstärkten Kribbeln an Händen und Füßen [6]. Diese Symptomatik kann durch den Einsatz von Kühlbändern und Kühlwesten oder dem Konsum von kühlen Getränken etwas reduziert werden. 

Cortisol kann außerdem Einfluss auf die Psyche nehmen, da hierdurch etliche Einflussfaktoren aus dem hormonellen Gleichgewicht geraten. Manche Patienten reagieren euphorisch (vor allem während der Stoßtherapie). Bei anderen hingegen kann eine Depression ausgelöst oder verstärkt werden (insbesondere nach Rückkehr des Cortisolspiegels auf Normalniveau). Eine solche Reaktion – besonders wenn sie sich als Depression äussert – wird somit also nicht unbedingt bzw. allein durch den Schub selbst ausgelöst. Dieser Aspekt sollte im Rahmen einer bestehenden psychotherapeutischen Behandlung unbedingt berücksichtigt werden [7],[8],[9]. 

Fazit

Sie wissen nun, dass Cortisol (bzw. ein wirkungsähnliches Präparat wie Methyl-Prednisolon oder Prednisolon) als Nebenwirkungen einige Effekte hervorrufen oder verstärken kann, die manchen MS-Symptomen ähnlich sind – wodurch eine klare Abgrenzung zu einigen krankheitsspezifischen Symptomen nicht möglich ist. Es wird einige Wochen dauern, bis mögliche Nebenwirkungen der Stoßtherapie abgeklungen und verbleibende Beschwerden allein auf die MS-Erkrankung zurückzuführen sind. 

Sie wissen nun außerdem, dass Ihr Körper Ihre Unterstützung beim Wiederaufbau braucht! Und dass er etwas Zeit benötigt, einiges wiederherzustellen, das durch die Stoßtherapie abgebaut wurde. Unterstützen Sie Ihren Körper so gut es geht und es Ihnen möglich ist! Überfordern Sie sich dabei nicht und räumen Sie sich auch immer wieder Pausen ein, wenn Sie welche brauchen!  

Kirsten von Life-SMS

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Weiterführender Artikel:

Kortisontherapie auf lsms.info 

Referenzen

[1] ‘Prednisolon – Wikipedia’. Accessed: Feb. 03, 2024. [Online]. Available: https://de.wikipedia.org/wiki/Prednisolon 

[2] ‘Methylprednisolon’, Wikipedia. Oct. 03, 2023. Accessed: Feb. 03, 2024. [Online]. Available: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Methylprednisolon&oldid=237842128 

[3] ‘Cortisol’, Wikipedia. Oct. 27, 2023. Accessed: Feb. 03, 2024. [Online]. Available: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Cortisol&oldid=238550036 

[4] ‘pflanzli.ch – Erfahrungsbericht Multiple Sklerose’. Accessed: Feb. 03, 2024. [Online]. Available: https://pflanzli.ch/ 

[5] ‘Therapie mit Glukokortikoiden – http://www.endokrinologie.net’. Accessed: Mar. 04, 2024. [Online]. Available: https://www.endokrinologie.net/krankheiten-glukokortikoide.php 

[6] ‘Uhthoff-Phänomen’, Wikipedia. Apr. 23, 2021. Accessed: Feb. 03, 2024. [Online]. Available: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Uhthoff-Ph%C3%A4nomen&oldid=211214710 

[7] G. L. Online, ‘Prednisolon – Anwendung, Wirkung, Nebenwirkungen | Gelbe Liste’, Gelbe Liste Online. Accessed: Mar. 04, 2024. [Online]. Available: https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Prednisolon_76 

[8] ‘Cortison’, Wikipedia. Aug. 21, 2023. Accessed: Mar. 04, 2024. [Online]. Available: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Cortison&oldid=236609797#Nebenwirkungen 

[9] ‘Stresshormonregulation und Depressions­risiko – Perspektiven für die antidepressive Behandlung’. Accessed: Mar. 04, 2024. [Online]. Available: https://www.mpg.de/4752810/antidepressive-behandlung 

Foto: MasterTux auf Pixabay.com


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