Wer von Multipler Sklerose betroffen ist, leidet häufig unter schwächender Müdigkeit (Fatigue), die es nicht selten unmöglich macht, grundlegende Alltagsaufgaben zu meistern. Hierdurch entsteht großer Leidensdruck und es verwundert nicht, dass zahlreiche Betroffene Abhilfe durch die Einnahme von Medikamenten suchen. Doch wie sinnvoll ist der pharmakologische Einsatz in diesem Fall überhaupt?
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Noch immer ist das weit verbreitete Symptom der MS-Fatigue in seiner Komplexität und seinen subjektiven Ausprägungen nicht gänzlich verstanden. Häufig werden sekundäre Ursachen, wie Schlafstörungen, Depressionen und Nebenwirkungen von Medikamenten in den Vordergrund gestellt, doch diese Faktoren sollten nicht mit der primären Fatigue verwechselt werden. Bei dieser handelt es sich um einen subjektiven Mangel an körperlicher oder geistiger Energie, der in direktem Zusammenhang mit dem Krankheitsprozess der Multiplen Sklerose steht.
Zahlreiche Theorien über die Ursachen der primären Fatigue wurden bereits formuliert. So wurden z.B. die Auswirkungen von entzündlichen Zytokinen, Anomalien der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse und kardiovaskuläre Dysregulationen untersucht, um dem Phänomen auf die Spur zu kommen. Jedoch gibt es bis heute keine Einigkeit bezüglich des Krankheitsvorgangs. Vieles liegt immer noch im Dunkeln. Dieser Mangel an Wissen führt dazu, dass es für Betroffene schwierig ist, eine geeignete Behandlung und den richtigen therapeutischen Ansatzpunkt zu finden.
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Behandlung der Fatigue bei MS
Die derzeitige medizinische Behandlung der MS-spezifischen Fatigue umfasst Ernährung, Bewegung, Verhaltensintervention wie auch die pharmakologische Behandlung. Es gibt Hinweise darauf, dass eine nicht-pharmakologische Therapie wirksam ist, um die Fatigue zu kontrollieren und zu minimieren. Gleichzeitig sind Belege, die den Einsatz von Medikamenten gegen Fatigue legitimieren sollen, minimal und widersprüchlich.
Nicht selten kommen bei der Behandlung der Fatigue Medikamente zum Einsatz, die eigentlich für andere Zwecke zugelassen wurden. Dieser Off-Label-Einsatz ist eher die Regel als die Ausnahme. Amantadin, Modafinil und amphetaminähnliche Stimulanzien (wie Methylphenidat und Amphetamin/Dextroamphetamin) gehören zu den am häufigsten verwendeten Medikamenten.
Ergebnisse der pharmakologischen Behandlung gleich Null
Sowohl Amantadin als auch Modafinil wurden in mehreren klinischen Studien zur Fatigue mit sehr widersprüchlichen Ergebnissen getestet: Einige Studien zeigten eine positive Wirkung, während andere keinen Nutzen zeigten. Methylphenidat wurde nie in einer randomisierten klinischen Studie für MS-bezogene Müdigkeit getestet. Solch frustrierende Ergebnisse halten viele Ärzte jedoch nicht davon ab, diese Medikamente weithin zu verschreiben.
Eine neue Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift JAMA Neurology veröffentlicht wurde (1), will nun endlich Licht ins Dunkel bringen und stellt den tatsächlichen Nutzen von Medikamenten zur Behandlung der Müdigkeit bei MS-Patienten in Frage. Die Studie verglich Amantadin, Modafinil und Methylphenidat miteinander und mit Placebo. Das Ergebnis ist überraschend: Keines der getesteten Medikamente war bei der Verbesserung der MS-bezogenen Fatigue dem Placebo überlegen. Dies bedeutet, dass der von den Patienten berichtete Nutzen dieser Medikamente weitestgehend als Placebo-Effekt eingestuft werden muss und nicht auf eine Wirkung des Medikaments selbst zurückzuführen ist.
Die Autoren der Studie stellten zudem fest, dass der Anteil jener Teilnehmer, die über unerwünschte Ereignisse (Nebenwirkungen) berichteten, bei Amantadin, Modafinil und Methylphenidat im Vergleich zu Placebo höher war. Dies sind keine guten Argumente für eine medikamentöse Behandlung der Fatigue.
Nicht-medikamentöse Behandlungsformen mit positiven Ergebnissen
Auf der anderen Seite wurden bereits verschiedene nicht-medikamentöse therapeutische Strategien untersucht, die eindeutige Vorteile zeigten: Vitamin A verbesserte Ermüdungssymptome bei MS-Patienten im Vergleich zu Placebo (2). Verschiedene Ernährungsinterventionen, Übungsprogramme und kognitive Verhaltensberatung haben ebenfalls Vorteile gezeigt. So zeigte zum Beispiel eine kürzlich durchgeführte Studie (3), die einen hohen Verzehr von Gemüse und Obst empfahl, den Verzehr von tierischem und pflanzlichem Eiweiß förderte und Lebensmittel mit glutenhaltigem Getreide, Milchprodukten und Eiern ausschloß, eine signifikante Verringerung der Ermüdungssymptome. Frühere Studien mit pflanzlicher Ernährung (4) und andere Ernährungsinterventionen haben ähnlich positive Ergebnisse gezeigt.
Ganz ausschließen lässt sich nicht, dass auch hier der Placebo-Effekt eine Rolle spielt. Doch auch wenn die positiven Effekte von nicht-pharmakologischen Interventionen auf solche Placebo-Effekte zurückzuführen sind, sind Nebenwirkungen nicht vorhanden. Allein dies ist schon als Vorteil zu werten.
Fazit: Behandelnde Ärzte sollten erkennen, dass Interventionen, wie z.B. Übungsprogramme, die Umstellung auf eine gesunde Ernährung, die Teilnahme an kognitiver Verhaltensberatung oder die Teilnahme an Gruppenschulungsprogrammen über Multiple Sklerose, die Fatigue ohne die Nebenwirkungen von Medikamenten verbessern können. Nicht-pharmakologische Maßnahmen sollten bei der ärztlichen Beratung hervorgehoben und ordnungsgemäß verschrieben werden – sie sind die derzeit effizienteste Behandlung für Fatigue bei MS, wie die genannten Studien eindeutig belegen. Sollte Ihr Arzt diese Ergebnisse nicht kennen oder verneinen, empfiehlt sich eine zweite Meinung einzuholen.
Literaturhinweise:
- Nourbakhsh B, Revirajan N, Morris B, et al. Safety and efficacy of amantadine, modafinil, and methylphenidate for fatigue in multiple sclerosis: a randomised, placebo-controlled, crossover, double-blind trial. Lancet Neurol. 2020 Nov 23:S1474-4422(20)30354-9.
- Bitarafan S, Saboor-Yaraghi A, Sahraian MA, et al. Effect of Vitamin A Supplementation on fatigue and depression in Multiple Sclerosis patients: A Double-Blind Placebo-Controlled Clinical Trial. Iran J Allergy Asthma Immunol. 2016 Feb;15(1):13-9.
- Fellows Maxwell K, Wahls T, Browne RW, et al. Lipid profile is associated with decreased fatigue in individuals with progressive multiple sclerosis following a diet-based intervention: Results from a pilot study. PLoS One. 2019 Jun 18;14(6):e0218075
- Yadav V, Marracci G, Kim E, Spain R, et al. Low-fat, plant-based diet in multiple sclerosis: A randomized controlled trial. Mult Scler Relat Disord. 2016 Sep;9:80-90.
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