Stoffwechselprodukte der Darmbakterien wie Propionsäure können die Osteoporose bei MS-Betroffenen verringern
Über die positiven Wirkungen der Propionsäure bei MS-Betroffenen haben wir schon des Öfteren berichtet – z.B. in Die kurzkettige Propionsäure beweist erneut ihr Potential in der MS-Behandlung.
Osteoporose ist eine häufige Komorbidität (d. h. Begleiterkrankung) bei MS-Patienten und -Patientinnen, die auf Risikofaktoren wie körperliche Inaktivität aufgrund von krankheitsbedingter Behinderung oder Müdigkeit, regelmäßige Behandlung mit Glukokortikoiden und manchmal Rauchen zurückzuführen ist. In den letzten Jahren hat die Idee eines autoimmunen Einflusses auf die Osteoporose großes Interesse geweckt, was zu dem Begriff „Osteoimmunologie“ geführt hat. In der Tat ist Osteoporose bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen sehr häufig, und im Falle von MS kommt zu den oben beschriebenen Risikofaktoren noch das entzündliche Umfeld hinzu, das sich aus der Autoimmunität ergibt.

Anders als es den Anschein hat, ist der Knochen kein „totes“ Organ, sondern ein stoffwechselaktives Gewebe, das sich in einem ständigen Prozess der Zerstörung (Resorption von Kalzium und anderen Mineralien) und des Aufbaus seiner Bestandteile – der Knochenzellen und der durch die Einlagerung von Mineralien wie Kalzium und Phosphor gebildeten Knochenmatrix – befindet. Dieses dynamische Gleichgewicht wird durch das Vorhandensein von „zerstörenden“ Zellen des Knochengewebes, den Osteoklasten, und reparierenden oder „aufbauenden“ Zellen, den Osteoblasten, aufrechterhalten. Wenn die Aktivität der Osteoklasten zunimmt und die Wiederherstellungskapazität der Osteoblasten übersteigt, kommt es zu einem Verlust an Knochenmasse und in der Folge zu Osteopenie und später zu Osteoporose.
Wie ist das Immunsystem am Knochenstoffwechsel beteiligt?
Tierstudien haben bereits den Einfluss von Immunzellen auf die Bildung oder Zerstörung von Knochengewebe gezeigt. Regulatorische T-Zellen (TRegs) sind in der Lage, die Tätigkeit von Osteoklasten – Knochen „zerstörenden“ Zellen – zu unterdrücken. Die Aktivierung von TRegs kann daher das Fortschreiten der Knochenresorption verhindern und den osteoporotischen Prozess aufhalten. Th1- und Th17-Zellen hingegen aktivieren die Osteoklasten und verstärken die Zerstörung des Knochengewebes.
TRegs sind eine spezialisierte Gruppe von T-Zellen (weiße Blutkörperchen oder Leukozyten) mit immunsuppressiver Funktion, d. h. sie hemmen die Immunantwort. Sie sind dafür verantwortlich, die Entzündungsreaktion zu regulieren, damit sie nicht übermäßig ausfällt, und fördern das Gleichgewicht der Immunfunktion und die Selbsttoleranz. Die Funktion der TRegs ist bei Autoimmunkrankheiten tendenziell reduziert.
Th1 und Th17 sind Helfer-T-Zellen, die große Mengen an Zytokinen produzieren und im Gegensatz zu den TRegs eine proinflammatorische Wirkung haben, d. h. sie stimulieren die Entzündung. Die Funktion dieser Zelltypen ist bei Autoimmunkrankheiten erhöht (1).
Das Verständnis des Einflusses des Immunsystems auf die Entwicklung der Osteoporose hat zur Suche nach neuen therapeutischen Möglichkeiten geführt, einschließlich Faktoren, die die Immunantwort modulieren können.
Der Einfluss der Darmmikrobiota auf unsere Gesundheit und ihre Rolle bei der Modulation des Immunsystems ist keine Neuigkeit mehr. Aufgrund der zahlreichen Artikel, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, besteht kein Zweifel daran, dass die Mikroorganismen, die unseren Verdauungstrakt bewohnen, in der Lage sind, bei der Förderung oder Vorbeugung von Entzündungskrankheiten zu wirken und eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Autoimmunität zu spielen. Wir wissen also, dass die Zusammensetzung der Mikrobiota und das Verhältnis zwischen den verschiedenen Bakterientypen wichtig für das Gleichgewicht des Immunsystems ist.
Wie kann die Darmmikrobiota die Immunantwort beeinflussen und folglich eine Rolle bei der Vorbeugung oder Verstärkung von Osteoporose spielen?
Gesundheitsfördernde Bakterien (nützliche Bakterien aus der Darmmikrobiota) sind für ihre Fähigkeit bekannt, während des Fermentationsprozesses von Lebensmitteln kurzkettige Fettsäuren (SCFA) zu produzieren. Kurzkettige Fettsäuren sind Nebenprodukte des natürlichen Stoffwechsels von Bakterien, die für den Menschen entzündungshemmend wirken. Menschen mit Dysbiose, d. h. einem Ungleichgewicht in der Darmmikrobiota, haben geringere Mengen an SCFA-produzierenden Bakterien und folglich weniger SCFAs im Stuhl und im Blut sowie ein entzündungsanfälliges Darmmilieu.
Die wichtigsten von Darmbakterien produzierten SCFAs sind Acetat, Butyrat und Propionsäure. Vor kurzem wurde die Rolle der Propionsäure bei MS untersucht. Eine kürzlich in der Fachzeitschrift cell (2) veröffentlichte Studie zeigte, dass eine zweiwöchige Supplementierung mit Propionsäure zu einem Anstieg der Anzahl und Funktion der TRegs führte, während die Anzahl der Th1- und Th17-Zellen reduziert wurde, was ihre potenzielle immunmodulatorische Funktion bei MS belegt.
Eine direkte Wirkung von SCFAs auf den Knochenstoffwechsel kann ebenfalls beobachtet werden: Eine SCFA-Supplementierung führt zu einer verringerten Osteoklastenaktivität aufgrund erhöhter TRegs-Zellen und verlangsamt den Knochenabbauprozess und vermindert folglich die Osteoporose (3). Neben dem direkten SCFA-Ersatz sind Prä- und Probiotika ebenfalls wirksam bei der Erhöhung der SCFA-Spiegel im Darm.
In einer neuen Studie (4) wurde die Wirkung einer Propionsäure-Supplementierung auf serologische Osteoporose-Marker bei MS-Patienten untersucht, wodurch die in früheren Studien gewonnenen Informationen bestätigt wurden. Nach einer 14-tägigen Propionsäure-Supplementierung wurde ein signifikanter Anstieg des Osteocalcins beobachtet, während die Werte der sogenannten β-CrossLaps zurückgingen. Osteocalcin spiegelt Prozesse des Knochenaufbaus wider, während β-CrossLaps ein Marker für den Knochenabbau ist. Dieser Effekt ist auf die Hemmung der Osteoklastenaktivität aufgrund der Zunahme von TReg-Zellen und der Abnahme von Th1- und Th17-Zellen zurückzuführen, wie bereits beschrieben.
Neben der direkten Zufuhr von Propionsäure kann auch die Einnahme von Probiotika und Präbiotika eine immunmodulatorische Wirkung haben und die Knochenzerstörung verhindern. Ebenso wie eine ballaststoffreiche Ernährung, die das Substrat für eine angemessene Produktion von SCFAs durch Darmbakterien liefert (5).
Fazit
Insofern sollte die Supplementierung von Propionsäure auch eine gute therapeutische Option zur Vorbeugung von Knochenschwund und Osteoporose bei MS-Betroffenen sein, aber es sind wie immer sicher noch weitere Studien erforderlich, um die Wirksamkeit endgültig zu bestätigen.
Alle MS-Patienten und -Patientinnen sollten eine ausgewogene Darmflora ohne Dysbiosen anstreben, indem sie eine angemessene Produktion von SCFAs sicherstellen und ggf. Propionsäure supplementieren (2 x 500 mg/Tag als empfohlene Dosis).
Eine gesunde Mikrobiota wirkt sich sowohl auf die Kontrolle von Autoimmunerkrankungen als auch auf die Bekämpfung von Osteoporose positiv aus. Einfache Maßnahmen wie eine ballaststoffreiche Ernährung und die Verwendung von Probiotika und Präbiotika können in vielen Fällen ausreichend sein. In komplizierteren Fällen kann eine Transplantation der intestinalen Mikrobiota eine Option sein, die in einigen Ländern bereits durchgeführt wird.
Gesundheit beginnt im Darm!
Ihre Maria Beatriz Harouche, Neurologin, Projektteam Life-SMS
Referenzen:
[1] Zaiss MM, Axmann R, Zwerina J, Polzer K, Gückel E, Skapenko A, Schulze-Koops H, Horwood N, Cope A, Schett G. Treg cells suppress osteoclast formation: a new link between the immune system and bone. Arthritis Rheum. 2007 Dec;56(12):4104-12. doi: 10.1002/art.23138. PMID: 18050211.
[2] Duscha A, Gisevius B, Hirschberg S et al. Propionic Acid Shapes the Multiple Sclerosis Disease Course by an Immunomodulatory Mechanism. Cell. 2020 Mar 19;180(6):1067-1080.e16. doi: 10.1016/j.cell.2020.02.035. Epub 2020 Mar 10. PMID: 32160527.
[3] Lucas S, Omata Y, Hofmann J, Böttcher M, Iljazovic A, Sarter K, Albrecht O, Schulz O, Krishnacoumar B, Krönke G, Herrmann M, Mougiakakos D, Strowig T, Schett G, Zaiss MM. Short-chain fatty acids regulate systemic bone mass and protect from pathological bone loss. Nat Commun. 2018 Jan 4;9(1):55. doi: 10.1038/s41467-017-02490-4. PMID: 29302038; PMCID: PMC5754356.
[4] Duscha A, Hegelmaier T, Dürholz K, Desel C, Gold R, Zaiss MM, Haghikia A. Propionic acid beneficially modifies osteoporosis biomarkers in patients with multiple sclerosis. Ther Adv Neurol Disord. 2022 Jun 21;15:17562864221103935. doi: 10.1177/17562864221103935. PMID: 35755968; PMCID: PMC9218497.
[5] Bach Knudsen KE. Microbial degradation of whole-grain complex carbohydrates and impact on short-chain fatty acids and health. Adv Nutr. 2015 Mar 13;6(2):206-13. doi: 10.3945/an.114.007450. PMID: 25770259; PMCID: PMC4352179.
© Foto: Towfiqu Barbhuiya; pexels.com
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