Schütteln als tägliches Anti-Stress-Ritual?

Shaking – eine gezielte Schüttelpraxis zur Aktivierung des Nervensystems und zur Förderung der körperlich-emotionalen Selbstregulation

Haben Sie auch schon an Tieren – egal ob Haustier oder nicht domestiziert – beobachtet, dass sie sich nach Angst- oder sonstigen stressigen Situationen schütteln?
Ähnlich, wie ein Hund die Nässe aus seinem Fell schüttelt, wenn er „baden“ war. Dieses Schütteln ist ein natürlicher Reflexmechanismus, den auch der Mensch in sich trägt, um (Angst-)Stress abzubauen. Konnten unsere Vorfahren Stress durch Feinde nicht mit Flucht – die logischerweise Bewegung beinhaltet – begegnen, sorgten sie ganz natürlich und selbstverständlich durch (bewusstes oder unbewusstes) Schütteln für Cortisol-abbauende Bewegung.

Stattdessen begegnen wir heute Ängsten oder innerem Druck häufig mit Kontrolle, anhaltender Anspannung oder mentaler Verdrängung. Das lässt nicht nur ungesund den Cortisolspiegel oben sondern setzt Energie fest, statt sie zu nutzen. Denn durch rhythmisches, geführtes Schütteln können sich Spannungen lösen, emotionale Blockaden abbauen und aufgestaute Energie wieder freisetzen. Dabei kommt es nicht nur zu einer physischen Entladung, sondern auch zu einer Neuordnung im Nervensystem, was sich unmittelbar in mehr Klarheit, Präsenz und emotionaler Stabilität äußern kann. 

Alte Kulturtechnik in unserer Zeit wichtiger denn je

Diese fast in Vergessenheit geratene Methode gewinnt in unserer oft auf Funktionieren, Optimieren und Aushalten getrimmten Zeit zu Recht zunehmend an Bedeutung.
Doch wie kann Shaking, also einfaches Schütteln, unser Nervensystem stärken, Stress abbauen und Selbstregulation aktivieren? Mareike Schwed, Gründerin der Neurowerkstatt (für MS und Parkinson), erklärt im Gespräch mit Prof. Dr. Spitz, warum Shaking eine uralte, aber hochaktuelle Methode zur Selbstregulation ist – und wie sie schon mit wenigen Minuten täglich hilfreich sein kann.

Spitzen-Gespräch zwischen Prof. Dr. med. Jörg Spitz/AMM und Dr. phil. Mareike Schwed/Sportwissenschaftlerin/neurowerkstatt

In diesem 38-minütigem Video erfahren Sie:
• wie Shaking bei Ängsten, Stress, Erschöpfung und sogar chronischen Erkrankungen wie MS helfen kann
• welche wissenschaftlichen Grundlagen dahinterstehen
• wie man Shaking einfach und wirksam in den Alltag integrieren kann
• erste Übungssequenz während des Videoschauens.

Gesundheitliche Effekte von Shaking

Diese körperbasierte Selbstregulation wird zunehmend auch in der modernen Neuropsychologie und Traumatherapie als effektiver Weg zur Stressreduktion und Resilienzförderung erkannt. 
Shaking hilft nicht nur bei akuten Stressreaktionen oder Ängsten, sondern kann auch langfristig emotionale Muster durchbrechen, die sich oft schon in der Kindheit oder im frühen Erwachsenenalter eingeprägt haben.

In wissenschaftlichen Studien zu verwandten Methoden (z.B. dem neurogenen Muskelzittern) konnten nicht nur ein Rückgänge der Cortisolspiegel sondern auch Effekte wie eine verbesserte Beweglichkeit und eine Aktivierung dopaminerger Systeme nachgewiesen werden. Insbesondere bei neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose kann Shaking dabei helfen, Symptome zu lindern, Energie zurückzugewinnen und wieder ein positives Körpergefühl zu entwickeln. Auch typische Symptome wie Schlafstörungen, chronische Verspannungen oder Erschöpfung können durch regelmäßiges Shaking spürbar zurückgehen. 

Doch auch ohne solch gesundheitliche Beeinträchtigungen zu haben, lohnt ein (nicht zu kurzfristig angelegter) Versuch. Denn tägliches Schütteln (am besten morgens oder als Arbeitspause) ist wie ein Reset-Knopf für Ihr Nervensystem: Schon wenige Minuten genügen – und viele fühlen sich sofort wacher, klarer und energetisch präsenter. 

7 Minuten Schütteln am Tag

Die Methode ist denkbar einfach: Bereits 7 Minuten tägliches Shaking – gerne zur Lieblingsmusik – können wirken. Dabei gibt es kein „korrektes Ausführen“, sondern ein intuitiver, freier Bewegungsfluss darf entstehen – individuell angepasst an Ihre körperliche und emotionale Verfassung. Die beispielhaft im Video gezeigte kurze Übungssequenz (von der Hand bis zur Schulter) kann problemlos auch im Sitzen ausgeführt werden. Probieren Sie aus, was bei Ihnen persönlich möglich ist. Auch ein Beinschütteln kann sitzend möglich sein.

Und falls Sie wirklich nach einer emotional belastenden Situation schütteln, ist es besonders hilfreich, dabei gezielt mit dem Thema oder Gefühl zu arbeiten (Wut, Angst, Unsicherheit, Enttäuschung …). Das können auch länger zurückliegende Ereignisse sein.

Auch gegen übermäßige Erschöpfung können Sie bewusst aktivierende Reize setzen. Viele Menschen berichten, dass sie bereits nach kurzer Zeit mehr Energie, ein verbessertes Körpergefühl und einen klareren Kopf verspüren. Nicht umsonst gibt es schon seit Urzeiten ganze Schüttelmeditationen – nicht nur für Fortgeschrittene!

Fazit: Gesundheit liegt auch im eigenen Körper

Shaking ist eine einfache, aber tiefgreifende Methode, die den Körper als Schlüssel zur Heilung nutzen kann. Ob zur Stressbewältigung, zur emotionalen Selbstregulation oder als tägliches Energie-Ritual – das bewusste Schütteln bietet eine selbstwirksame Möglichkeit, mehr Vitalität, innere Stabilität und Gesundheit ins Leben zu bringen. 


Referenzen 

Neurowerkstatt: www.neurowerkstatt.de


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Warum Bewegung, Eigenverantwortung und Stressmanagement entscheidend sind – besonders bei MS

Während Krankheiten wie Krebs oder Herzinfarkt große Aufmerksamkeit erhalten, kämpfen MS-Betroffene häufig im Stillen – mit wenig Unterstützung durch die Schulmedizin. Doch es gibt mehr Wege, den Verlauf der Erkrankung positiv zu beeinflussen. Bewegung, Stressmanagement und ein Umdenken in Bezug auf die eigene Gesundheit spielen dabei eine zentrale Rolle.

Spitzen-Gespräch zwischen Prof. Dr. med. Jörg Spitz/AMM und Dr. phil. Mareike Schwed/Sportwissenschaftlerin/neurowerkstatt

Aus dem Gespräch:

Die unsichtbare Belastung: warum MS-Betroffene oft allein kämpfen

In der klassischen Medizin wird MS häufig symptomatisch behandelt. Medikamente stehen im Mittelpunkt, während ganzheitliche Ansätze wie gezielte Bewegung oder psychologische Unterstützung vernachlässigt werden. Viele Patientinnen und Patienten erleben eine schleichende Verschlechterung ihrer Symptome, da ihnen oft das Wissen fehlt, wie sie selbst aktiv Einfluss nehmen können.

Dabei wissen wir heute: Bewegung kann nicht nur Symptome lindern, sondern auch die Krankheitsprogression beeinflussen. Sport wirkt sich positiv auf das Immunsystem aus, kann die Schubrate reduzieren und schützt das Nervensystem. Trotzdem tun sich viele Betroffene schwer, Bewegung in ihren Alltag zu integrieren – oft aus Angst, sich zu überlasten oder weil sie in einem Teufelskreis der Erschöpfung gefangen sind.

Use it or lose it: warum Bewegung unverzichtbar ist

Ein entscheidender Punkt, der im Video thematisiert wird, ist das Prinzip „Use it or lose it“ – wer seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten nicht nutzt, baut sie unweigerlich ab.

Der Körper ist ein Meister der Effizienz. Alles, was nicht aktiv gebraucht wird, wird abgebaut. Das gilt für Muskeln ebenso wie für das Gehirn. Wer sich aufgrund von MS oder Erschöpfung schont, riskiert, dass sich die Symptome weiter verschlimmern.

Die gute Nachricht: Es ist nie zu spät, damit anzufangen. Unabhängig davon, in welchem Stadium sich jemand befindet – Bewegung kann immer einen positiven Effekt haben. Entscheidend ist jedoch die richtige Art und Weise.

Toxischer Stress: ein unterschätzter Faktor bei Multipler Sklerose

Ein besonders brisanter Punkt, der im Gespräch hervorgehoben wird, betrifft den Einfluss von Stress und toxischen Lebenssituationen auf MS. Viele Betroffene – insbesondere Frauen – sind in einem Umfeld gefangen, das ihre Gesundheit unbewusst verschlechtert.

Typische Stressfaktoren sind:

  • Toxische Beziehungen: Partner, die wenig Verständnis haben oder zusätzlichen Stress verursachen.
  • Mehrfachbelastung: Familie, Beruf, Haushalt – viele Frauen nehmen sich selbst dabei völlig zurück.
  • Fehlende Abgrenzung: Wer immer nur für andere da ist, vernachlässigt oft seine eigenen Bedürfnisse.
  • Multitasking: Wird oft als Stärke angesehen, ist für das Gehirn aber eine permanente Überforderung.

Infobox Mythos Multitasking
Viele glauben, Multitasking sei eine wertvolle Fähigkeit – doch unser Gehirn kann eigentlich nur eins: schnell zwischen Aufgaben hin- und herwechseln. Dieser sogenannte „Task-Switching“-Effekt kostet jedoch Zeit und Energie. Studien zeigen, dass dabei mehr Fehler passieren, die Konzentration leidet und die Produktivität sinkt. Wer sich auf eine Aufgabe fokussiert, arbeitet effizienter und nachhaltiger. Also: Lieber nacheinander als durcheinander!

Siehe auch: Rubinstein, J. S., Meyer, D. E., & Evans, J. E. (2001). Executive control of cognitive processes in task switching. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 27(4), 763–797., https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11518143/

Oft wird Betroffenen gesagt, sie seien „selbst schuld“ an ihrer Lage – doch das ist nicht der Punkt. Es geht nicht um Schuld, sondern um unbewusste Mechanismen. Wer sich über Jahre oder Jahrzehnte in belastenden Situationen befindet, kann nicht erwarten, dass sich der Körper davon nicht beeinflussen lässt.

Die Lösung: Selbstermächtigung. Das bedeutet, die eigene Situation zu reflektieren, toxische Muster zu erkennen und aktiv Veränderungen vorzunehmen. Das kann durch Bewegung, gezielte Stressbewältigung oder auch durch eine veränderte Lebensweise geschehen.

Neuroplastizität: Wie der Körper sich anpassen kann

Ein weiteres zentrales Thema im Gespräch ist das Konzept der Neuroplastizität – also die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und anzupassen.

  • Bewegung kann gezielt dazu beitragen, Nervenzellen zu schützen und neue Verbindungen zu fördern.
  • Das autonome Nervensystem spielt eine entscheidende Rolle, insbesondere in Bezug auf Stress.
  • Wer in einem Dauerstressmodus lebt, schadet nicht nur seiner Psyche, sondern auch seinem Körper.

Deshalb reicht Bewegung allein nicht aus. Sie muss mit einer bewussten Regulierung des Nervensystems kombiniert werden. Techniken aus der Polyvagal-Theorie, Atemübungen oder sanfte Bewegungsformen können helfen, den Körper aus dem Überlebensmodus herauszuführen.

Fazit: Gesundheit liegt auch in der eigenen Hand

Multiple Sklerose ist eine herausfordernde Erkrankung – aber sie ist kein Schicksal, dem man sich hilflos ergeben muss. Durch Bewegung, Selbstermächtigung und gezielte Stressregulation können Betroffene aktiv Einfluss auf ihr Wohlbefinden nehmen.

Wichtige Erkenntnisse aus dem Gespräch:

  • Bewegung ist essenziell – „Use it or lose it“ gilt für Körper und Geist
  • Toxischer Stress kann MS-Symptome verschlimmern – besonders bei Frauen.
  • Multitasking ist kein Zeichen von Stärke, sondern purer Stress für das Nervensystem.
  • Selbstermächtigung ist der Schlüssel: Niemand kann die Verantwortung für die eigene Gesundheit abnehmen.
  • Das Nervensystem spielt eine entscheidende Rolle – Stressregulation ist genauso wichtig wie Bewegung.

Mehr zum Thema Sport und MS auch in unserem gleichnamigen Ratgeber. Hier geht’s zum Gratisdownload….


Referenzen 

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Knirschen oder Pressen? – Zeigen wir dem Bruxismus die Zähne 

Von Kirsten 

Kennen Sie das? Man wacht morgens auf und fühlt sich wie gerädert. Die Muskeln haben im Schlaf viel zu viel Arbeit geleistet. Und auch die Kiefermuskulatur hat kräftig mitgewirkt. Zähne wurden unbewusst geknirscht und/oder stark aufeinander gepresst – was im Allgemeinen als «Bruxismus» bekannt ist.  

Da viele MS-Erkrankte im Allgemeinen eine erhöhte Muskelanspannung aufweisen, ist es nicht verwunderlich, dass oft auch die Kieferregion betroffen ist. Zu diesem Thema wurden bisher nicht allzu viele wissenschaftliche Studien durchgeführt. Doch die, die es gibt, weisen darauf hin, dass Bruxismus [1] bzw. das daraus resultierende Krankheitsbild «Craniomandibuläre Dysfunktion» (CMD, also eine Funktionsstörung des Kiefergelenks) häufiger bei MS-Erkrankten vorzufinden ist als in den Vergleichsgruppen [2], [3]. In einer Studie wurde ausserdem eine erhöhte Hypermobilität (also verstärktes Zähneknirschen) des Unterkiefers bei MS-Erkrankten beschrieben [4]. Zeigen auch zukünftige Studien ähnliche Ergebnisse, würde dies den Zusammenhang zwischen MS und Bruxismus weiter untermauern. Bruxismus würde demzufolge kaum bei betroffenen MS-Erkrankten komplett verschwinden, wenn die MS-spezifische Muskelanspannung/Spastiken tatsächlich den Bruxismus verstärken. Aber eine Besserung der Bruxismus-Symptomatik wäre durchaus möglich. 

Bruxismus kann neben verstärktem Zahnabrieb verschiedene Auswirkungen nach sich ziehen, wie z.B. Schmerzen im Gesichts-, Kopf- und Nackenbereich, Tinnitus, Schwindel, Schluckbeschwerden oder Migräne [1]. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Auswirkungen von Bruxismus einzudämmen so gut es geht.  Hierfür gibt es verschiedene Ansätze, die Sie in Betracht ziehen können: 

Stressreduktion & Achtsamkeit 

Entspannung kann helfen, das Anspannen der Kiefermuskulatur etwas zu reduzieren. Wenden Sie daher regelmässig Entspannungstechniken (wie z.B. Bewegung, Yoga, etc.) an, um Ihren Stresslevel zu minimieren. Entspannungstechniken können ein Stück weit helfen, das (nächtliche) Zähneknirschen oder -aufeinanderpressen zu minimieren – vor allem, wenn sie seelisch (und deswegen auch körperlich) stärker als sonst angespannt sind.  

Im Rahmen von Stressreduktion und Entspannung sei vor allem das Thema Achtsamkeit erwähnt – denn oft findet Bruxismus unbewusst statt. Er kann aber für die Dauer, in dem man sich dessen bewusst ist, minimiert werden. In diesem Zusammenhang könnte also ein regelmässiger «BodyScan» etwas Erleichterung bringen. Der BodyScan ist ein Element der «Mindfulness-Based Stress Reduction» (also der Stressbewältigung durch Achtsamkeit), der in den 1970er-Jahren von einem Universitätsprofessor entwickelt wurde [5] und den man auch ohne fremde Hilfsmittel gut daheim durchführen könnte. Siehe auch: Warum sich Mindfulness- oder Achtsamkeitstrainning lohnt! | Life-SMS 

Dabei konzentriert man sich gedanklich auf seinen Körper und spürt in sich hinein. Hierbei werden u.a. Blockaden und Verspannungen bewusst wahrgenommen und könnten dementsprechend auch bewusst etwas minimiert werden (sofern es Ihrem Körper möglich ist). Regelmässiges «Training» wird Sie vermutlich sensibilisieren, Ihre Anspannung schneller wahrzunehmen und dadurch früher entgegensteuern zu können. 

Aufbissschiene 

Um die Zähne vor Abrieb zu schützen, CMD zu minimieren und auch ein wenig Entlastung der Kiefermuskulatur zu erreichen, wäre es sinnvoll, nachts eine Aufbissschiene (auch Knirscherschiene genannt) zu verwenden. Hierfür gibt es verschiedene Anbieter. Oder Sie lassen sich von Ihrem Zahnarzt beraten.  

Die Häufigkeit des Zähneknirschens / -pressens wird durch die Aufbissschiene zwar nicht unbedingt minimiert. Aber die Auswirkungen werden reduziert, da die Belastung nicht direkt auf einzelne Zähne konzentriert, sondern auf die grössere Fläche der Aufbissschiene verteilt wird. Die Anspannung der Kiefermuskulatur fällt ein bisschen niedriger aus – was durchaus angenehmer ist, als wenn man die Schiene nicht verwenden würde. Aber die Ursache wird nicht behoben, und so bleibt oft eine gewisse Grundanspannung weiterhin bestehen. 

Dehnungsgeräte 

Kürzlich erst kam «das kleinste Entspannungstool der Welt» auf den Markt. Dabei handelt es sich um zwei kleine Silikonkissen, die 3x täglich für jeweils 3 Minuten auf die seitlichen Backenzähne des Unterkiefers gelegt werden. Sie dienen als eine Art Abstandshalter zwischen Ober- und Unterkiefer. Sobald man (unterbewusst) den Unterkiefer zum Oberkiefer führen will, erinnern die Silikonkissen daran, dass man das nicht tun sollte. Während des Trainings ist der Mund locker geschlossen – u.a. damit der Speichel (der während des Trainings zahlreich gebildet wird) den Mund nicht verlässt. Der Hersteller wirbt mit der Dehnung des Kiefergelenks, der Aktivierung des Vagus Nervs sowie der Entspannung der Muskulatur [6] (Stand: 11. Okt. 2024).  

Ich habe es getestet und empfand nach der ersten Anwendung etwas Erleichterung in der Kieferregion, die aber nach etwa einer halben Stunde von meiner gewohnten Muskelanspannung vertrieben wurde. Eine regelmässige Anwendung kann durchaus vielversprechender sein als einzelne Anwendungen. Nach dem Training war meine Nackenmuskulatur allerdings weiterhin ähnlich stark angespannt wie vorher. Es wirkte etwas «unausgeglichen» zwischen Nacken- und Kiefermuskulatur. Während des Trainings mit den Silikonkissen bzw. auch sonst wäre es sicherlich vorteilhaft, die Nackenmuskulatur miteinzubeziehen und zu dehnen (siehe nächstes Kapitel). 

Auch andere Hersteller bieten Geräte zur Dehnung der Kiefermuskulatur an. Hierbei unterscheidet sich z. T. das Material sowie der Preis. Einige Geräte werden vorne zwischen den Schneidezähnen (also bei offenem Mund) verwendet, wodurch die Speichelproduktion geringer ausfallen sollte als bei Geräten, die weiter hinten im Mund angewendet werden. Als kostengünstige Variante könnte z.B. auch ein Korken verwendet werden (sofern er schadstofffrei produziert wurde). Allgemein werden Dehnungsgeräte nur wenige Minuten am Tag verwendet, sollten aber für langfristige Erfolge regelmässig angewendet werden.

Dehnen 

Generell erscheint Dehnen sinnvoll, um Spannung aus der angespannten Muskulatur herauszunehmen. Sie können prinzipiell ihre Dehnübungen auch ohne die oben genannten Trainingsgeräte durchführen. Dabei sollten sie aber viel Achtsamkeit einfliessen lassen. Denn das Feedback – das Sie durch die Trainingsgeräte bekommen würden, wenn Sie unbewusst ihre Dehnung verringern (was bei Bruxismus recht wahrscheinlich ist) – fällt weg. Beachten Sie bitte, dass die Mundöffnung zum Dehnen nicht extrem geöffnet werden sollte, um eine Verrenkung des Unterkiefers zu vermeiden.  Zu Dehnübungen finden sich viele Quellen in Büchern oder im Internet. Oder Sie suchen einen Physiotherapeuten auf, der sie durch sinnvolle Dehnübungen und deren richtige Ausführung führt.  
Auch manche CranioSacral-Therapeuten (Teilbereich der Osteopathie) sind darauf spezialisiert, mit spezielleren CranioSacral-Behandlungen bestehenden Bruxismus zu lindern.

Achten Sie bitte darauf, wenn Sie ohne Hilfsmittel den Kiefer dehnen, dass Sie nicht extrem trainieren, um dem Modetrend der ausgeprägten Kieferpartie («perfect Jawline») nachzukommen. Denn das wäre eher kontraproduktiv und könnte die Bruxismus-Symptomatik verschlimmern. 

Wichtig ist generell: Beziehen Sie das Dehnen von Schulter- und Nackenpartie mit ein, um einen stärkeren und etwas nachhaltigeren Effekt zu erzielen.  

Faszienrolle, -bälle & Triggerpunkt-Drücker  

Diese gibt es fürs Gesicht in verschiedenen Materialien und Ausführungen. Der Einsatz soll Giftstoffe abtransportieren, die Durchblutung anregen und dadurch die betroffene Region entspannen. Dabei sollte die Anwendungsrichtung gemäss Anleitung eingehalten werden, damit die Gewebe-Elastizität unterstützt und Verklebungen gelöst werden. Man findet auf Webseiten der Hersteller z. T. Anleitungen zur Gesichts- / Kiefermassage [7] (Stand: 22.Okt.2024).  

Generell sollte bei der Behandlung die Muskulatur möglichst lockergelassen werden. Den Druck, den Sie mit den Hilfsmitteln ausüben, können Sie manuell selbst regeln. Er sollte aber gerade in der Gelenkregion nicht zu stark ausfallen, um das Gelenk nicht zu schädigen. Eine sanfte und regelmässige Anwendung ist auch hier einer einmaligen bzw. starken Ausübung vorzuziehen.
Insgesamt gilt: Halten Sie sich bitte an die Angaben des Herstellers bzw. Ihrer Physiotherapeutin oder Ihres Arztes.  

Massageroller & Gua Sha 

Inzwischen verkaufen auch Kosmetikunternehmen Massageroller fürs Gesicht. Es gibt sogar geschliffene Kristallplatten fürs Gesicht (Gua Sha), die u.a. damit beworben werden, die Lymphbahnen zu aktivieren und Giftstoffe abzutransportieren. Es wird auch empfohlen, Öle bzw. Cremes damit einzumassieren. Insgesamt betrachtet, können Massageroller helfen, ein bisschen Entspannung zu bringen. Das Einmassieren von Kosmetikprodukten mag einen gewissen Wohlfühlfaktor bzw. ein Ritual mit sich bringen, das Ihnen womöglich guttut. Dies bringt Ihre Aufmerksamkeit auf die verspannte Kiefermuskulatur. Durch das Bewusstwerden kann ein aktives (aber vermutlich nicht vollständiges) Lösen der Verspannung hervorgerufen werden – was zumindest kurzfristig ein wenig Erleichterung bringen kann. 

Auch hier gilt: nicht zu viel Druck aufwenden, um Kiefer(-Gelenke) nicht zu schädigen.
Insgesamt gilt: Halten Sie sich bitte an die Angaben des Herstellers bzw. Ihres Physiotherapeuten.  

Infrarot-Lichttherapie 

Gemäss Bundesamt für Strahlenschutz kann Infrarot-Strahlung die lokale Durchblutung fördern und Muskelverspannungen senken [8] (Stand: 19. Okt. 2024). Daher werden manche Infrarot-Lampen auch als Medizinprodukt verkauft und z. B. folgendermassen beworben: «Wohltuende Wärmestrahlung […] ideal zur Anwendung bei […] Verspannungen […]» [9] (Stand: 19. Okt. 2024). Es gibt verschiedene Modelle und Grössen – auch eine, mit der man das Gesicht zu Therapiezwecken für einige Minuten bestrahlen kann.  

Durch die lokale Wärme entspannt sich also die Gesichtsmuskulatur ein wenig. Nicht jedem MS-Erkrankten bekommt Wärme gut, weshalb jeder individuell eine Infrarot-Therapie abwägen sollte. Aus meiner Erfahrung heraus kommt man bei einer Infrarot-Therapie in der Regel nicht ins Schwitzen und sie ist weit angenehmer als die Sommerhitze. Die Infrarot-Strahlung ist auch nur lokal und für ein paar Minuten (also für die Dauer der Therapie) präsent und könnte jederzeit von Ihnen abgeschaltet werden. 

Zusätzlich kann die Infrarot-Therapie auch auf der Nackenmuskulatur angewendet werden – um einen besseren Effekt im Hinblick auf die Bruxismus-Thematik zu erzielen. 

Prinzipiell sind die Augen während der Anwendung geschlossen zu halten (genauso wie man nicht mit offenen Augen in die Sonne schauen soll). Anwendungsdauer sowie der Abstand zur Lampe sollte gemäss Herstellerangaben ebenso befolgt werden. Im Falle von Entzündungen sollte im Allgemeinen keine Infrarot-Therapie angewendet werden. Besprechen Sie dies bitte vorab mit Ihrem Arzt. 

Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei Infrarot nicht um UV-Licht handelt, sondern um Wärmestrahlung. Daher treten auch keine UV-bedingten Beschwerden oder Risiken wie z.B. Sonnenbrand auf. 

Die Infrarot-Lichttherapie bitte nicht verwechseln mit LED-Lichttherapie-Masken, die u.a. zur Gesichtspflege angeboten werden. Diese verwenden in der Regel kein Infrarot-Licht und haben somit wenig Effekt auf die Muskelentspannung. 

Cross-Taping / Kinesio-Taping 

Wie bereits im Artikel über Aku-Taping beschrieben, kann das Anbringen von speziellen Tapes auf angespannten Körperstellen durchaus Linderung bringen. Im Zusammenhang mit Bruxismus wurden bereits Studien durchgeführt, die auf einen Benefit der Tapes hinweisen [10], [11].
Informationen, wie sie dort (auf die Wangen) angebracht wurden, können den entsprechenden Quellen bzw. dieser Webseite entnommen werden (sofern diese dort weiterhin verfügbar ist): [12] (Stand: 26. Okt. 2024).
Sie können Informationen auch in Büchern wie diesem finden: [13].
Oder Sie wenden sich an einen Physiotherapeuten bzw. ihren Zahnarzt. 

Prinzipiell sollte aber darauf hingewiesen werden, dass Sie Tapes nur anwenden sollten, wenn Sie diese auch vertragen. Vereinzelt könnte es z.B. zum Juckreiz oder Hautausschlag kommen. In solchen Fällen wäre es gut, wenn Sie sich stattdessen auf andere Therapiemöglichkeiten konzentrieren würden. Manchmal muss man auch nur den individuell passenden Hersteller finden, da diese unterschiedliche Substanzen für ihre Tapes verwenden und Individuen unterschiedlich empfindlich auf diese reagieren.

Weitere Informationen 

Eine ausführliche Zusammenstellung verschiedenster Therapieansätze werden auch in Büchern beschrieben, wie z.B. in diesem: [13].
Ausserdem sind die meisten Physiotherapeuten prinzipiell eine gute Anlaufstelle. 

Allgemeiner Hinweis 

Bitte beachten Sie, dass im Allgemeinen die Anleitung des Herstellers einzuhalten ist. Bei Entzündungen oder Erkrankungen (bei Bruxismus vor allem im Gesichts- / Mundbereich) sowie Erkrankungen wie Osteoporose und Geschwüren sollten ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt generell keine Geräte – weder äusserlich noch innerlich – eingesetzt werden. Auch bei der Einnahme von Medikamenten wie z.B. Blutverdünnern sollte von einer Anwendung (insbesondere Faszienrolle) abgesehen werden.  

Besprechen Sie den Einsatz von Geräten bzw. Therapien am besten generell vorab mit Heilberuflern. Zielgerichtete Übungen unter Anleitung sowie das korrekte Anbringen von Kinesio-Tapes könnten Sie bei einem Physiotherapeuten erhalten. Oder lassen Sie sich von Ihrer Zahnärztin beraten. 

Prinzipiell wäre es auch gut, nicht mehrere Therapieansätze gleichzeitig auszuüben, sofern dies nicht explizit vom Hersteller bzw. den Heilkundigen/Therapeuten empfohlen wird. So sollte z. B. der Einsatz von Infrarot-Licht nicht unbedingt in Kombination mit Taping der zu beleuchtenden Körperstellen stattfinden. Ebenso könnte der Einsatz von Gesichtscremes mit Infrarot-Licht bzw. das Taping eingecremter Haut zu unerwünschten (Haut-)Reaktionen führen. 

Fazit

MS-Erkrankte scheinen nach bisherigem Wissenstand häufiger von Bruxismus betroffen zu sein als Nicht-Erkrankte.  Seine Auswirkungen wie Zahnabrieb und Gesichtsschmerzen können aber durch eine Aufbissschiene minimiert werden. 

Zur Entspannung der Kiefermuskulatur gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie z.B. Dehnen oder Massieren. Es sollte darauf geachtet werden, dass nicht zu extrem gedehnt bzw. nicht zu stark massiert wird, um potenzielle Gelenkschäden zu minimieren. Nach Möglichkeit sollten auch Schulter- und Nackenpartien miteinbezogen werden.  

Auch der Einsatz von Infrarotlicht kann zur Entspannung der Kiefermuskulatur beitragen – sofern Sie diese spezielle Art der (Tiefen)Wärme gut tolerieren.  

Beachten Sie bitte, dass nicht unbedingt mehrere Therapien gleichzeitig angewendet werden sollten, wie z.B. Infrarot-Beleuchtung von getapten Körperpartien.

Auch an dieser Stelle ist es wieder ein persönliches Forschungsprojekt, den Ursachen und den Methoden zur Beseitigung dieser auf die Spur zu kommen. Machen Sie sich auf den Weg! 


Bildquelle

Handelsübliche Knirschschiene
Mik81, Public domain, via Wikimedia Commons 

Referenzen

[1] “Bruxismus,” Wikipedia. Sep. 06, 2024. Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bruxismus&oldid=248361437

[2] “Prevalence of temporomandibular disorders in people with multiple sclerosis: A systematic review and meta-analysis: CRANIO®: Vol 0, No 0.” Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/08869634.2022.2137129

[3] N. Manchery, J. D. Henry, and M. R. Nangle, “A systematic review of oral health in people with multiple sclerosis,” Community Dent. Oral Epidemiol., vol. 48, no. 2, pp. 89–100, 2020, doi: 10.1111/cdoe.12512.

[4] D. E. Williams, J. E. Lynch, V. Doshi, G. D. Singh, and A. R. Hargens, “Bruxism and temporal bone hypermobility in patients with multiple sclerosis,” Cranio J. Craniomandib. Pract., vol. 29, no. 3, pp. 178–186, Jul. 2011, doi: 10.1179/crn.2011.026.

[5] “Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion,” Wikipedia. Aug. 13, 2024. Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Achtsamkeitsbasierte_Stressreduktion&oldid=247672171

[6] “TJ-Motion® – Optimale Unterstützung zum Lösen von Verspannungen,” TJ Motion B2C. Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://tj-motion.de/

[7] “Foam roller face,” BLACKROLL. Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://blackroll.com/exercises/exercises-by-body-area/foam-roller-face

[8] “Anwendungen von Infrarotstrahlung in Medizin und Wellness,” Bundesamt für Strahlenschutz. Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://www.bfs.de/DE/themen/opt/anwendung-medizin-wellness/infrarot/infrarot.html

[9] B. GmbH, “Infrarotlampe IL 21,” Beurer. Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://www.beurer.com/de/p/61601/

[10] M. Volkan-Yazici, M. E. Kolsuz, N. Kafa, G. Yazici, C. Evli, and K. Orhan, “Comparison of Kinesio Taping and manual therapy in the treatment of patients with bruxism using shear-wave elastography-A randomised clinical trial,” Int. J. Clin. Pract., vol. 75, no. 12, p. e14902, Dec. 2021, doi: 10.1111/ijcp.14902.

[11] A. Keskinruzgar, A. O. Kucuk, G. Y. Yavuz, M. Koparal, Z. G. Caliskan, and M. Utkun, “Comparison of kinesio taping and occlusal splint in the management of myofascial pain in patients with sleep bruxism,” J. Back Musculoskelet. Rehabil., vol. 32, no. 1, pp. 1–6, 2019, doi: 10.3233/BMR-181329.

[12] “Sleep Bruxism? K Tape may help,” Advanced Physical Therapy Education Institute. Accessed: Oct. 26, 2024. [Online]. Available: https://www.aptei.ca/library-article/sleep-bruxism-k-tape-may-help/

[13] Kruse Gujer, Astrid, “Klebe und rolle den Kieferschmerz weg.” Accessed: Oct. 27, 2024. [Online]. Available: https://shop.tredition.com/booktitle/Klebe_und_rolle_den_Kieferschmerz_weg/W-1_113664


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Gewusel im Kopf 

von Kirsten 

Vermutlich hatten Sie schon mal ein Gewusel im Kopf. Da gibt man alles und dennoch drehen sich die Informationen im Hirn nur im Kreis. Kein klarer Gedanke in Sicht bzw. am Ende der Nervenbahnen und schon ist man trotz höchster Konzentration völlig unkonzentriert und gestresst. Einfach zu viel Traffic im Kopf. Und selbst das gut eingebläute Einmaleins ist nicht mehr so einfach abrufbar. Was also tun?  

Erst mal Pause machen!  

Sie haben dafür keine Zeit? – Ja, genau dann sollten Sie sich möglichst eine Pause gönnen, den Gang etwas herunterschalten! Ärgern Sie sich nicht über Ihre eingeschränkte Leistungsfähigkeit, denn das führt nur zu noch mehr Stress. Und dieser führt wiederum zu mehr Traffic im Hirn und vermindert dadurch zusätzlich die Denkfähigkeit. Ein Teufelskreis. 

Stress und seine Bedeutung für die Hirnaktivität 

Da sollte man meinen, dass Stress die Aufmerksamkeit erhöht. Stellen Sie sich vor, da steht ein Säbelzahntiger vor Ihnen und Sie müssen sehr schnell eine Entscheidung treffen – kämpfen oder weglaufen. Diese Entscheidung muss blitzschnell stattfinden, ihre Hirnzellen müssen superschnell arbeiten und eine Aktion einleiten. Für diesen Prozess sind bestimmte Neurotransmitter verantwortlich, die besonders in Stresssituationen getriggert werden. Und diese ermöglichen eine Beschleunigung der Informationsverarbeitung. Aber ist das auch wirklich immer der Fall? 

Sie erinnern sich vielleicht noch an Prüfungssituationen in Ihrem Leben, z.B. in Ihrer Schulzeit? Da hat Ihr Hirn vermutlich auf Höchstleistung gearbeitet und Sie waren danach erst mal erschöpft – eben weil diese Höchstleistung viel Energie kostet. Stellen Sie sich vor, Sie hätten direkt danach eine weitere Prüfung ablegen müssen. Hätten Sie dafür noch die nötige Energie gehabt? Und hätten Ihre Hirnzellen noch so gut funktioniert wie in dieser ersten Prüfung? Oder hätte Ihnen eine Pause vor der zweiten Prüfung doch noch einigen Vorteil gebracht? 

Sie merken, dass Stress in Maßen (!) durchaus die kognitiven Fähigkeiten steigert. Langfristig ist er allerdings gerade für ergebnisorientiertes Denken äusserst kontraproduktiv [1]. Denn stressende Neurotransmitter wie Cortisol und Noradrenalin blockieren gemeinsam Hirnregionen, die für zielgerichtetes Handeln wichtig sind [2]. Gerade Bereiche, in denen u.a. Gedächtnisinhalte gespeichert werden (Präfrontalcortex) bzw. Gedächtnisinhalte vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis überführt werden (Hippocampus), leiden unter Stresseinwirkung, sodass das Speichern und Abrufen von Informationen nur schlecht möglich ist [3]. Ein weiterer Effekt von chronischem Stress ist ausserdem, dass sich manche Hirnregionen vergrössern, wie z.B. die Amygdala. Diese spielt u.a. bei der Entstehung von Angst eine grosse Rolle, was wiederum ein Gestresst-Sein nach sich ziehen kann. Auch hier wieder ein Teufelskreis. 

Auslöser einer verminderten kognitiven Leistungsfähigkeit 

Sie haben womöglich gerade eine Stosstherapie hinter sich? Dann kann das Gewusel im Kopf eine Folge der Stosstherapie bzw. des Absetzens der Stosstherapie sein – denn diese besteht ja aus hochdosierten Cortisol-Derivaten und triggert daher einige stress-assoziierte Prozesse. Dieser Effekt kann noch einige Wochen nach der Stosstherapie andauern. Ein solcher Effekt kann prinzipiell auch durch manch andere Medikamente ausgelöst bzw. verstärkt werden. Einen möglichen Wechsel auf ein anderes Präparat sollten Sie vorher bitte mit Ihrem Arzt oder Apotheker besprechen. 

Vielleicht befinden Sie sich gerade in einem akuten Schub. Manche Nerven im Hirn sind entzündet und funktionieren daher nicht mehr so gut wie früher. Entzündungen bedeuten generell Schwellungen bzw. Wasseransammlungen sowie das zusätzliche Vorhandensein von Molekülen und Zellen, die ohne Entzündung nicht bzw. weniger präsent wären. Das «Abwassersystem» des Gehirns (auch als «Glymphatisches System» bezeichnet), funktioniert daher nicht mehr so gut und ist «etwas verstopft». Sie können sich vorstellen, dass die Informationen «im Stau» stehen und eben nicht wie auf einer freien Autobahn schnell ans Ziel kommen. Da hilft Ihnen Stress auch nicht viel weiter, die Information schneller ans Ziel zu treiben. Er kann sogar kontraproduktiv sein, in dem er den Stau durch das Ausschütten von noch mehr Botenstoffen und Molekülen weiter verstärkt. 

Manche Nervenzellen sind nicht mehr entzündet, sondern bereits vernarbt? Hier kann die Information also nicht von einer Sackgasse auf die Autobahn springen, um schnell ans Ziel zu kommen und braucht daher Abzweigungen und Umwege. Abgestorbene Neuronen im Hirn wachsen zwar nicht wieder nach. Aber das Nervengewebe kann sich z. T. selbst reparieren: Direkt nach der Schädigung im Hirn wird das Gewebe um die Läsion herum nämlich besonders flexibel. Neue Zellausläufer verbinden dann Bereiche intakter Regionen miteinander und sorgen dafür, dass diese neue Aufgaben übernehmen – sofern die Schädigung nicht zu gross ist, man das Gehirn für eine Weile regenerieren lässt und es dabei nicht stört [4]. Eine Pause erscheint hier also unbedingt notwendig! 

Massnahmen zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit 

Was sich recht positiv auf die Funktionsfähigkeit des glymphatischen Systems auswirkt, ist Schlafen. Denn gerade dann ist das glymphatische System besonders aktiv und kann seiner Aufgabe als Entsorgungssystem für Abfallstoffe nachgehen. Eine möglichst gute Schlafqualität ist daher von grosser Bedeutung. Die Länge des Schlafes sollte hierfür auch ausreichend sein. Gestört wird die Aktivität des glymphatischen Systems u.a. durch Stresshormone wie z.B. Noradrenalin, womit wir schon beim nächsten Punkt wären. 

Wie bereits erwähnt: Stressreduktion! Wie diese im Detail aussieht, müssen Sie für sich entscheiden, denn da gibt es unterschiedliche Ansätze. Nicht jedem liegt z.B. Yoga oder Ausdauersport (sofern dies körperlich möglich ist). Wenn Sie noch nicht wissen, was Ihnen guttut, dann probieren Sie doch verschiedene Sachen aus (sofern dies körperlich möglich ist) und entscheiden dann, was Ihnen am besten bekommt: Feldenkrais, Yoga, Qi Gong, Tai Chi, Spazierengehen, Ausdauersport, Muskelaufbausport, Meditation (z.B. Body Scan für den Anfang), malen, fotografieren, kochen, … Es sollte auf jeden Fall etwas sein, dass Sie «erdet» und wofür Sie regelmässig (und möglichst gerne) Zeit aufbringen!  

Unterstützend wäre ausserdem die körperliche Bewegung zu nennen (sofern Ihnen dies möglich ist). Ob Spazierengehen, Sport, Hippotherapie, Dehnübungen, Ergometertraining, Laufbandtraining, Massage, Lymphdrainage: Bewegen Sie die (Gewebs-)flüssigkeiten (in der alternativen Therapie als «Säfte» bekannt) in Ihrem Körper, so dass eine bessere Versorgung der (Nerven-)Zellen stattfinden kann und Abfallstoffe schneller abtransportiert und abgebaut werden können. Wird der ganze Körper mit einbezogen, dann hat dies auch Einfluss auf den Stofftransport in Gehirn und Rückenmark und somit die Nervengesundheit [5]. Unterstützen können hierbei ausserdem noch Lebensmittel, die als «blutreinigend» oder «entgiftend» gelten, wie z.B. Gemüse und Kräuter, die geniessbare Bitterstoffe enthalten [6].  

Kommen wir nun von der Bewegung der Körperflüssigkeiten zum Denksport! Auch wenn Sie körperlich stark eingeschränkt sind, könnte dieser Sport für Sie dennoch gut durchführbar sein. Ob Kreuzworträtsel, Puzzeln, Sudoku, Quiz, Knobelaufgaben, Strategiespiele, Merkspiele, Brettspiele, Klavier spielen, Matheaufgaben, Sprachenlernen, Geschichten- oder Gedichte-Schreiben: Gehirnjogging wirkt dem mentalen Abbau entgegen [7]. Sie können also ihre kognitiven Fähigkeiten ein Stück weit trainieren und verbessern. Versuchen Sie (wenn möglich) verschiedene Denksport-Arten in Ihren Alltag zu integrieren. Denn das Lösen von gleichen Rätselformaten führt langfristig zu einer Automatisierung und nicht unbedingt zum Entwickeln neuer Strategien. Fordern Sie Ihr Hirn immer wieder neu. Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie ein Rätsel nicht lösen können, denn das bringt nur wieder Stress mit sich. Bleiben Sie kreativ und spielerisch und gönnen Sie sich auch hin und wieder Pausen, wenn Sie welche brauchen! 

Fazit 

Eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit kann ausgelöst werden durch Erkrankungen, die Einnahme von Medikamenten oder durch Stress. 

Gesteigert werden kann die kognitive Leistungsfähigkeit durch Stressreduktion, Schlaf, regelmässige Bewegung und Denksport. 


Referenzen

[1] S. Ouanes and J. Popp, “High Cortisol and the Risk of Dementia and Alzheimer’s Disease: A Review of the Literature,” Front. Aging Neurosci., vol. 11, Mar. 2019, doi: 10.3389/fnagi.2019.00043. 

[2] L. Schwabe, M. Tegenthoff, O. Höffken, and O. T. Wolf, “Simultaneous Glucocorticoid and Noradrenergic Activity Disrupts the Neural Basis of Goal-Directed Action in the Human Brain,” J. Neurosci., vol. 32, no. 30, pp. 10146–10155, Jul. 2012, doi: 10.1523/JNEUROSCI.1304-12.2012. 

[3] “Kurz- und langfristige Folgen von starkem Stress.” Accessed: Sep. 01, 2024. [Online]. Available: https://www.psychologie.uzh.ch/de/bereiche/dev/lifespan/erleben/berichte/folgenvonstress.html 

[4] “Neuroplastizität: Wie das Gehirn sich selbst heilt.” Accessed: Sep. 01, 2024. [Online]. Available: https://www.spektrum.de/magazin/neuroplastizitaet-wie-das-gehirn-sich-selbst-heilt/1935982 

[5] R. L. Olegário, O. T. Nóbrega, and E. F. Camargos, “The newly discovered glymphatic system: the missing link between physical exercise and brain health?,” Front. Integr. Neurosci., vol. 18, Apr. 2024, doi: 10.3389/fnint.2024.1349563. 

[6] A. C. Duarte et al., “Bitter taste receptors profiling in the human blood-cerebrospinal fluid-barrier,” Biochem. Pharmacol., vol. 177, p. 113954, Jul. 2020, doi: 10.1016/j.bcp.2020.113954. 

[7] “Was Denksport wirklich bringt,” geo.de. Accessed: Sep. 01, 2024. [Online]. Available: https://www.geo.de/magazine/geo-kompakt/710-rtkl-gehirntraining-was-denksport-wirklich-bringt 


Bildquelle:

Auf ein mittig im Bild zu sehendes Modell eines Gehirn prasseln viele Eindrücke und Einflüsse unterschiedlichster Art ein;
Bild erstellt mit DALL-E by OpenAI im Monat Oktober 2024.



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Zum Jahresausklang: Alles Gute für 2024 und erreichbare Ziele setzen!

Viele Neujahrsvorsätze scheitern, weil sie unrealistisch oder zu vage sind. Menschen – und dies gilt sicher auch für MS-Betroffene – setzen sich oft zu viele Ziele auf einmal und verlieren dann die Motivation. Um dies zu vermeiden, ist es hilfreich, konkrete und erreichbare Ziele zu setzen. Außerdem kann es helfen, die Vorsätze schriftlich festzuhalten und sich regelmäßig an sie zu erinnern. Eine Unterstützung durch Freunde oder Familie sowie die Aufteilung großer Ziele in kleinere Schritte können ebenfalls dabei helfen, die Vorsätze umzusetzen. Übernehmen Sie sich also bitte nicht bei Ihren Vorsätzen für das kommende Jahr.

In einer etwas älteren Studie der University of Scranton, USA [1] wurden die Selbstveränderungsversuche von 200 Neujahrsvorsätzen über einen Zeitraum von zwei Jahren prospektiv verfolgt, um die entscheidenden Faktoren für die Aufrechterhaltung der Vorsätze und den natürlichen Verlauf von Abweichungen und Rückfällen in alte Verhaltensmuster besser zu verstehen.

77 % der Befragten hielten sich eine Woche lang an ihre Neujahrsvorsätze, aber nur 19 % hielten sich zwei Jahre lang daran. Erfolgreiche Probanden berichteten, dass sie während der zwei Jahre deutlich mehr Stimuluskontrolle (Impulskontrolle), Verstärkungsstrategien (z.B. Belohnungen) und Willenskraft einsetzten als erfolglose Probanden. Soziale Unterstützung und zwischenmenschliche Beziehungen sagten den Erfolg vor sechs Monaten nicht voraus, wohl aber danach.

Gegenkonditionierung und Ausblenden negativer Einflüsse wurden rückblickend als die wirksamsten Bewältigungsstrategien benannt. Mangelnde Willenskraft und fehlende Reizkontrolle wurden als die größten Hindernisse für die Aufrechterhaltung der Vorsätze genannt. 53 % der erfolgreichen Gruppe erlebten mindestens einen Ausrutscher bei ihren Vorsätzen, und die durchschnittliche Anzahl der Ausrutscher über den Zeitraum von zwei Jahren betrug 14. Auslöser für diese Ausrutscher waren in der Regel ein Mangel an persönlicher Kontrolle, übermäßiger Stress und negative Emotionen.

Was bedeutet das nun?

Wie bereits erwähnt, sollte man sich zunächst erreichbare Ziele in kleinen Schritten setzen. Ist ein Ziel zunächst objektiv nicht erreichbar – schaut man auf die Liste der anderen, für einen selbst wichtigen Ziele und kümmert sich um diese. Später kann man immer noch auf das ursprünglich gewählte Ziel zurückkommen, wenn sich die Rahmenbedingungen (bei vielen der aktuelle Gesundheitszustand) zum Besseren verändert haben.

Wenn man seine eigenen Ziele mit Hilfe einer Gruppe erreichen kann – sei es Sport oder Training oder auch gemeinsames Singen, Malen etc. – hilft dies langfristig die guten Vorsätze beizubehalten und negative Einflüsse (z.B. Abkapselung oder mangelnde Bewegung) zu vermeiden bzw. auszublenden.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2024 und dass Sie die Ziele ohne große Rückschläge erreichen, die Sie sich für das Jahr gesetzt haben!

Ihr

Life-SMS Team

Quelle:

[1] Norcross JC, Vangarelli DJ. The resolution solution: longitudinal examination of New Year’s change attempts. J Subst Abuse. 1988;1(2):127-134. doi:10.1016/s0899-3289(88)80016-6; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/2980864/

Foto von Ian Schneider auf Unsplash


Für die Wissbegierigen unter uns gibt es nachfolgend noch einige Hinweise auf Artikel aus dem Netz, die uns in den letzten Monaten aufgefallen sind. Sie entsprechen – außer bei Beiträgen von anderen Projekten der DSGiP – nicht zwingend den von uns vertretenen Positionen, sind aber in allen Fällen eine Bereicherung der Diskussionsgrundlage.

Machen Sie sich selbst ein Bild!

„Winterblues“ bei Multipler Sklerose (MS) [lifepr.de;7.12.2023]

Wenn die Tage kürzer und kühler werden und weniger Sonnenlicht zur Verfügung steht, müssen sich Menschen, gerade auch mit Multipler Sklerose (MS), auf neue Gegebenheiten einstellen. Grund ist die abnehmende Ausschüttung des „Glückshormons“ Serotonin und der gleichzeitige Anstieg von Melatonin im Körper.

Multiple Sklerose: Frühere Behandlung dank Biomarkern [dw.com; 8.11.2023]

Bei Multipler Sklerose kündigen Biomarker die typischen Nervenschäden bereits viele Monate vor den ersten Symptomen an. Durch die Entdeckung dieser Biomarker kann die Behandlung viel früher beginnen.

Gesundheitsverhalten bei MS im Frühstadium [gelbe-liste.de, 26.10.2023]

Ein Forschungsprojekt soll das Selbstmanagement von Personen mit Multipler Sklerose unterstützen. In einem ersten Schritt wurde eine Umfrage durchgeführt, um bislang fehlende Baseline-Daten zum Gesundheitsverhalten von Personen mit MS im Frühstadium zu erheben.

VERLAUF DER MS: Genvariante für rasche MS-Progression [amsel.de, 14.6.2023]

Mehr als 200 „MS-Gene“ sind mittlerweile bekannt. Wobei die Gene allein nicht ausreichen, um eine MS auszulösen. Daneben braucht es, so der Stand der Wissenschaft, sogenannte Umweltfaktoren: Umstände und Einflüsse, die im weiteren Leben dazukommen, etwa bestimmte Viren oder mangelnde Sonnenexposition.

Neue Analysen verleiten zu Spekulationen: Übergewichtig durch Vitamin-D-Mangel? [medscape.com; 12.6.2023]

In den vergangenen Monaten wurden 2 Studien veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Vitamin-D-Mangel näher beleuchten. Über die Ergebnisse wird nun in den Medien viel spekuliert. Könnte eine Vitamin-D-Supplementierung zur Behandlung von Adipositas hilfreich sein?

Welt-MS-Tag: Multiple Sklerose ist keine Einbahnstraße [natuerlich.haug-verlag.de, 30.05.2023]

Diagnose Multiple Sklerose: Ein persönlicher Erfahrungsbericht über den Umgang mit MS und Wege neben der schulmedizinischen Medikation.

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